Edmund (Ödön) Josef von Horváth (* 9. Dezember 1901 in Sušak, Österreich-Ungarn; † 1. Juni 1938 in Paris) war ein auf Deutsch schreibender Schriftsteller ungarischer Staatsbürgerschaft: „Meine Muttersprache ist die deutsche.“ Bekannt wurde er unter anderem durch seine Stücke Geschichten aus dem Wiener Wald, Glaube Liebe Hoffnung und Kasimir und Karoline sowie durch seine zeitkritischen Romane Der ewige Spießer, Jugend ohne Gott und Ein Kind unserer Zeit.–
Randbemerkung des Autors zu GLAUBE LIEBE HOFFNUNG (Auszug):
Februar 1932 traf ich auf der Durchreise in München einen Bekannten
namens Lukas Kristl, der schon seit einigen Jahren Gerichtssaalberichterstatter
ist. Er sagte mir damals ungefähr folgendes: Ich (Kristl)
verstehe die Dramatiker nicht, warum nämlich diese Dramatiker, wenn
sie Tatbestand und Folgen eines Verbrechens dramatisch bearbeiten, fast
immer nur sogenannte Kapitalverbrechen bevorzugen, die doch relativ
selten begangen werden – und warum sich also diese Dramatiker fast niemals
um die kleinen Verbrechen kümmern, denen wir doch landauf-landab
tausendfach und tausendmal begegnen, und deren Tatbestände ungemein
häufig nur auf Unwissenheit basieren und deren Folgen aber trotzdem
fast ebenso häufig denen des lebenslänglichen Zuchthauses mit Verlust
der bürgerlichen Ehrenrechte, ja selbst der Todesstrafe ähneln.
Und Kristl erzählte mir einen Fall aus seiner Praxis – und aus diesem
alltäglichen Fall entstand der kleine Totentanz GLAUBE LIEBE HOFFNUNG.
Die Personen Elisabeth, den Schupo (Alfons Klostermeyer), die Frau
Amtsgerichtsrat und den Oberinspektor hat Kristl persönlich gekannt.
Es ist mir ein Bedürfnis, ihm auch an dieser Stelle für die Mitteilung
seiner Materialkenntnisse und für manche Anregung zu danken.
Kristls Absicht war, ein Stück gegen die bürokratisch-verantwortungslose
Anwendung kleiner Paragraphen zu schreiben – aber natürlich in der
Erkenntnis, daß es kleine Paragraphen immer geben wird, weil es sie in
jeder wie auch immer gearteten sozialen Gemeinschaft geben muß. Zu
guter Letzt war also Kristls Absicht die Hoffnung, daß man jene kleine
Paragraphen vielleicht (verzeihen Sie bitte das harte Wort!) humaner
anwenden könnte.
Und dies war auch meine Absicht, allerdings war ich mir jedoch dabei
im klaren, daß dieses „gegen kleine Paragraphen“ eben nur das Material
darstellt, um wiedermal den gigantischen Kampf zwischen Individuum und
Gesellschaft zeigen zu können, dieses ewige Schlachten, bei dem es zu
keinem Frieden kommen soll – höchstens, daß mal ein Individuum für
einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes genießt.
Wie bei allen meinen Stücken habe ich mich auch bei diesem kleinen
Totentanz befleißigt, es nicht zu vergessen, daß dieser aussichtslose
Kampf des Individuums auf bestialischen Trieben basiert, und daß also
die heroische und feige Art des Kampfes nur als ein Formproblem der
Bestialität, die bekanntlich weder gut noch böse, betrachtet werden
darf.
Wie in allen meinen Stücken habe ich auch diesmal nichts beschönigt
und nichts verhäßlicht. Wer wachsam den Versuch unternimmt, uns Menschen
zu gestalten, muß zweifellos (falls er die Menschen nicht indirekt
kennengelernt hat) feststellen, daß ihre Gefühlsäußerungen verkitscht
sind, das heißt: verfälscht, verniedlicht und nach masochistischer
Manier geil auf Mitleid, wahrscheinlich infolge geltungsbedürftiger
Bequemlichkeit – wer also ehrlich Menschen zu gestalten versucht,
wird wohl immer nur Spiegelbilder gestalten können, und hier
möchte ich mir nur erlauben, rasch folgendes zu betonen: ich habe und
werde niemals Juxspiegelbilder gestalten, denn ich lehne alles Parodistische
ab.
[ … ]
1.