Theater Kleve
Presse zu Aufzeichnungen eines Wahnsinigen (Spielzeit 2012/13)
NRZ vom 07.Juli 2013

Briefe von Hund zu Hund

Kleve. Michael Schläger zeigt im XOX-Theater den Entwicklungsprozess vom Normalen zum Wahn. Von Klaus Hübner

Einsam auf der Bühne, an einem mit Blättern übersäten Tisch, schließlich auf einem Stuhl in dem Bett thronend – allein auf Michael Schläger in der Rolle des kleinen Beamten Poprischtschin lasten Darsteller- und Erzählkunst im Ein-Personen-Stück „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“.
Wo verläuft die Grenzlinie?

Die jüngste, von Michael Schläger und Wolfgang Paterok entwickelte Produktion für das XOX-Theater basiert auf der gleichnamigen Erzählung des russischen Schriftstellers Nikolai Gogol und stellt als gestaltete Texterzählung die krankhafte Entwicklung eines Phantasten dar, der in St. Petersburg als unbedeutender Beamter unsterblich in die Tochter des Behördenleiters verliebt ist.

Gogol nutzte das Stilmittel der Tagebuchaufzeichnung, um einen menschlichen Verfallsprozess zu beschreiben, der den Protagonisten am Ende als König auf den spanischen Thron führt. Eine Entwicklung, die jedoch nur im Kopf von Poprischtschin stattfindet, dem die krankhafte Phantasie sogar vorgaukelt, dass Hunde sprechen und Briefe schreiben können.

Wahn und Wirklichkeit liegen nicht nur im Theater eng beisammen. Nikolai Gogol zeigte mit literarischen Mitteln schon vor der Erfindung der Psychoanalyse, wie eine menschliche Seele funktionieren kann, wenn es ihr nicht gut geht.

„Poprischtschin versucht eigene Normabweichungen mit eigentlich Ähnlichem zu kaschieren,“ erläutert Michael Schläger. „Was ist schon Spleen und was noch vertretbar? Wo verläuft die Grenzlinie – ist der Protagonist noch hier oder schon dort, auf der anderen Seite?“

Im Korb des Hundes seiner Angebetenen findet Poprischtschin Briefe, die der Hund an einen anderen Hund geschrieben hat. „Er nimmt sie mit und liest sie zuhause vor,“ sagt Wolfgang Paterok, „in der Hoffnung, etwas über seinen Vorgesetzten und seine heimliche Liebe zu erfahren.“ Diese Episode ist nur ein weiterer Hinweis auf die zunehmende Wahnerkrankung, die schließlich im Krankenhaus mit Anwendungen der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts (Wasser über den Kopf schütten) behandelt wird. Schließlich verweigert der Kranke seine Arbeit als Beamter, denn er regiert jetzt als König von Spanien.

Mit welchen Mühen und Freuden sich Michael Schläger dieser dramatischen Erzählung ausgesetzt hat, welche mentale und mimische Leistung nötig sind, in einem neunzig Minuten dauernden Solostück die Entwicklung eines aus der Bahn geworfenen Menschen darzustellen, zeigt das XOX-Theater ab Donnerstag, 11. Juli. Schläger, der bereits im Solostück „Der Kontrabass“ von Patrik Süskind glänzte, scheint sich zum Spezialisten für schwierige Alleinunterhalterrollen auf der Theaterbühne zu etablieren.

NRZ vom 13. Juli 2013

Ein Hundeleben
Das XOX-Theater brachte Gogols „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“ heraus
Andreas Daams

Der Beamte Poprischtschin liebt die Tochter des Direktors. Doch ist Poprischtschin jene Sorte Mann, über die Frauen sich höchstens lustig machen, wenn sie sie denn überhaupt bemerken. Poprischtschin wird allmählich wahnsinnig. An der Welt? An sich selbst? Wo liegt der Unterschied zwischen beidem?

Nikolai Gogol hat mit den „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“ 1835 eine Tagebuch-Erzählung geschrieben, die die neusten Erkenntnisse der Hirnforschung vorwegnimmt. Denn das Gehirn funktioniert in dieser Erzählung als das, was es offenbar ist: als Rechtfertigungsorgan. Es ordnet das, was man erlebt und zu sehen glaubt, in logische Zusammenhänge ein. Poprischtschin hört Hunde reden: das ist, sagt er sich, kein Einzelfall, dergleichen hat man schon in Zeitungen gelesen. Dort erfährt er auch, dass es keinen spanischen Thronfolger gibt. Der lebe, mutmaßt er, im Verborgenen, genau wie er selbst.
Alter spanischer Ritterbrauch

Deshalb – ein klassischer, wenn auch fataler Syllogismus – könne, ja müsse er selbst der König sein. Und als er schließlich im Irrenhaus landet, hält er den Arzt ganz konsequent für den spanischen Reichskanzler. Wenn der ihn mit dem Stock schlägt, ist ihm klar: das ist ein alter spanischer Ritterbrauch, den muss er über sich ergehen lassen. In der sogenannten Euro-Rettung scheint die Logik ganz ähnlich zu funktionieren.

Das XOX-Theater hat nun diese eindrückliche Erzählung auf die Bühne gebracht. Es handelt sich um einen eineinhalbstündigen Monolog zwischen Bett, Stuhl und Tisch. Der Schauspieler Michael Schläger trägt weiße Irrenhaus-Kleidung – von einer ordentlichen Psychiatrie konnte man 1835 kaum sprechen, dafür war die Literatur exzellent. Wie man ja ohnehin mit einiger Berechtigung zu der Einschätzung kommt, dass die Autoren im 19. Jahrhundert alles Wesentliche schon gesagt haben. Der Poprischtschin ist keine Papierfigur, sondern ein echter Mensch, der da aus den Zeilen steigt. Schläger macht das gut, er spielt nach, woran er sich erinnert, während er es erzählt. Ein selbstbewusster, aufrechter Gang ist ihm in dieser Rolle weitgehend versagt. Er krümmt sich, beugt sich, windet sich. Textsicher und mit feurigem Blick tastet er sich Schritt für Schritt in den Wahnsinn hinein. Bis in die Mimik zeichnet er den Poprischtschin mit großer Intensität. Gemeinsam mit Regisseur Wolfgang Paterok hat er daran gearbeitet, den fast leeren, immer anders beleuchteten Raum in den Prozess einzubeziehen.

Das Ergebnis ist keine nette Komödie, kein flotter Theaterspaß, sondern ein echtes Theatererlebnis, das unter die Haut geht. Es zeigt mehr über den Menschen, als man üblicherweise wissen will. Man sollte die Chance nutzen.