Theater Kleve
Presse zu Bernarda Albas Haus (Spielzeit 2018/19)
RP vom 7. Mai 2019

Die unsichtbare Macht der Männer

Von Antje Thimm

Kleve.Das Klever XOX-Theater führte „Bernarda Albas Haus“ von García Lorca auf.

Ein andalusisches Dorf in den 1930er Jahren. Antonio María Benavides ist tot, und nun müssen Bernarda Alba, seine Witwe, und seine fünf Töchter acht Jahre isoliert von der Außenwelt trauern, so fordert es die Gesellschaft, so fordert es die Hausherrin erbarmungslos von ihren Töchtern. Das Klever XOX-Theater spielte „Bernarda Albas Haus“ von Frederico García Lorca. Regisseur Wolfgang Paterok sagte zur Begrüßung des Premieren-Publikums: „Im heutigen Spanien und auch im übrigen Europa hat sich die Situation der Frau verbessert, aber in anderen Teilen der Welt sind Frauen immer noch Opfer gesellschaftlicher Konventionen, und darum geht es hier.“
In drei Akten spitzt sich der dramatische Verlauf ohne Umschweife zu: die älteste Tochter Angustias, gespielt von Anke Kühl, darf heiraten, denn sie ist nicht die leibliche Tochter des Verstorbenen. Zudem erbt sie als einzige das Vermögen. Ihr Verlobter, Pepe el Romano, ist „weit und breit der beste Mann“, wie Magdalena, dargestellt durch Nina Jonas, im Gespräch mit Amelia (Lena Tschirsch) betont. Die Werbung um die Braut erfolgt nach strengem Brauch: erst schleicht er ums Haus, dann schickt er einen Boten, danach trifft er die Auserwählte regelmäßig am Fenster (-Gitter, wohlgemerkt). Aber Pepe liebt nicht sie, sondern ihr Geld. Ein Auge hat er für die Jüngste, Adela, verkörpert von Käthe Grüter, die seine Liebe glühend erwidert, aus dem Moralgefängnis der Mutter ausbricht und alles riskiert. Der begehrte Mann bleibt unsichtbar im Stück, wie die gesamte Männerwelt. Man hört sie singen, wenn sie auf die Felder gehen, frei sind sie, und wenn sie eine Straftat begehen, kommen sie davon.
„Weil die Männer solche Sachen unter sich ausmachen, und weil niemand den Mut hat, sie anzuzeigen“, das lässt Lorca die Martirio, gespielt von Luna Ellenrieder, erklären. Auch sie ist in Pepe verliebt. Wencke de Jong ist Bernarda. Starke Momente besonders in der sprachlichen Akzentuierung kennzeichnen ihren Auftritt. Sie zeigt deutlich, wie Bernarda auch mit sich ringt, wohl wissend, was sie ihren Töchtern antut. Für eine authentische spanische Atmosphäre sorgt Katja Plumbaum als junge Magd und Nachbarin Prudencia. Der Kern des Konflikts wird deutlich im Zusammenspiel von Wencke de Jong mit Brigitte van Gemmeren, die die Magd La Poncia treffend als lebenserfahrene Frau verkörpert, auf Augenhöhe mit der Herrin. Eindrucksvoll der Dialog der beiden kurz vor Ende.
La Poncia bringt Bernarda beinahe aus der Fassung, als sie sagt, die Stille des Hauses sei nur ein Trug, über „jedem Zimmer aber steht ein Gewitter“, und sie fragt: „Was ist, wenn ein Blitz einschlägt? Ein Schlag, der dich mitten ins Herz trifft?“ Der Schlag erfolgt, als Adela sich erhängt. De Jong zeigt glaubwürdig, wie Bernarda tief betroffen ist und sich gleichzeitig beherrscht. Verzweiflung wird sichtbar, als sie ihre Töchter zwingt, zu schweigen. Das Leid, schweigen zu müssen und gefangen zu sein, konkretisiert Lorca zusätzlich im Auftritt von María Josefa, Bernardas Mutter. Jana Reetz – van der Kallen überzeugt in der Rolle der alten Mutter, die sich immer noch nach Freiheit und Liebe sehnt, berührt auch in der geistigen Verwirrtheit der Figur.
García Lorca setzte starke Zeichen gegen die Unterdrückung der Frau. Dies in die heutige Zeit zu transportieren, zumal mit jungen Frauen, denen die dargestellten Ungerechtigkeiten fremd sein müssen, ist nicht einfach, es gelang jedoch durch das engagierte Spiel der Akteurinnen. Langer Applaus.

NRZ vom 13. Mair 2019

Das Feuer löschen
Das XOX-Theater führt das Frauendrama „Bernarda Albas Haus“ von Federico García Lorca auf und zeigt eine beeindruckende Interpretation des Klassikers der Moderne

Von Andreas Daams

Kleve. Schmerz. In jedes Wort, jeden Blick, jede Situation hat Federico García Lorca diesen Schmerz gelegt. Der Schmerz, Mensch zu sein, zu leben fernab der eigenen Träume. Und wehe, sie könnten wahr werden.
In seiner Tragödie „Bernarda Albas Haus“ geht es um Frauen. Bernarda Alba (Wencke de Jong), ihre fünf Töchter, ihre demente Mutter und ihre beiden Dienerinnen. Man kann es als Stück über das Patriarchat sehen, über eine Gesellschaft, in der Frauen nichts zu melden haben. „Ein Loch im Friedhof ist alles, was uns bleibt.“ Aber es ist auch ein Stück über das Grauen, Mensch unter Menschen zu sein. Überall lauern sie, um Gift zu spucken und sich das Maul zu zerreißen. Bernarda Alba weiß das – und fürchtet es mehr als alles andere auf der Welt. Sie will den Schein wahren. Der Rest ist Schweigen.
Wolfgang Paterok hat die meiste Zeit moderne, oft ganz neue Stücke in seinem XOX-Theater aufgeführt. Erst in letzter Zeit wendet er sich den Klassikern der Moderne zu. Da ist Federico García Lorca nicht die schlechteste Wahl. Der Spanier, auch als Lyriker und Komponist bekannt und mit nur 37 Jahren von den Falangisten im spanischen Bürgerkrieg ermordet, war ein Seelen-Durchschauer, ein Menschen-Versteher, ein Worte-Genie.
In „Bernarda Albas Haus“ geht es um die Sehnsucht, den Trieb, oder, wie die jüngste Tochter Adela (Käthe Grüter) sagt: „Ich will das Feuer löschen, das mir in der Brust und zwischen den Beinen brennt.“ Doch Bernardas Töchter sind zu Hause eingesperrt, lediglich die älteste (Anke Kühl) darf nachts durch das vergitterte Fenster mit dem von allen angebeteten Pepe sprechen. Denn sie ist die Erbin des Familienvermögens, und da kann man als Mann nicht widerstehen. Stenge Sitten – aber abgesehen von allem Historischen, in dem das Stück spielt und das, wenn man es genau nimmt, so lange noch gar nicht her ist, kann man dabei zusehen, wie Schmerz zu Hass und Hass zu Schmerz wird.
Nur die alte Magd (Brigitte van Gemmeren) ahnt, was da geschieht. Aber auch sie, Vertraute ihrer Herrin, wünscht ihr „zwei spitze Nägel in ihre Augen“. Wie leicht werden die Allianzen zwischen den anderen Töchtern (Nina Jonas, Lena Tschirsch und Luna Ellenrieder) geschlossen und gebrochen.
Wolfgang Paterok übersetzt diesen wirbelnden, wunden Text in unruhige Szenenbilder. Da wirkt die Szene beim Essen, wenn alle am Tisch sitzen, fast schon gespenstisch. Alle Darstellerinnen, auch Katja Plumbaum als Dienerin und Jana Reetz-van der Kallen als Großmutter wirken außerordentlich gut aufeinander eingespielt, so dass es eine Freude sein könnte, ihnen zuzusehen – wenn da nicht dieser Schmerz wäre, dieses Wortgefecht, das sich tief hinein gräbt ins eigene Empfinden. Großes Theater!