Theater Kleve
Presse zu Feuergesicht (Spielzeit 2001/02)
RP vom 6. März 2002 (Vorbericht)

Der Junge mit dem Feuergesicht
von Isabelle De Bortoli

„Ich werde nicht wie die. Niemals.“ – Für Kurt steht fest, dass er nicht das Leben führen will, das seine Eltern ihm vorleben. Und dagegen wehrt er sich mit allen Mitteln. Kurt ist die Hauptfigur der Tragödie „Feuergesicht“ von Marius von Mayenburg (1997), mit der das Ensemble des XOX-Theaters unter Leitung von Wolfgang Paterok im April Premiere feiern wird. Das Erstlingswerk von Mayenburgs handelt vom Findungsprozess des 15-jährigen Kurt, der in seinem toleranten Elternhaus Grenzen sucht. Aber die Freizügigkeit und Tabulosigkeit der Eltern treiben Kurt und seine Schwester Olga in eine gefährliche Nähe. Kurt wird zum Brandstifter, verbrennt sich sein eigenes Gesicht und endet als Mörder. „Feuergesicht“ ist kein Stück über Jugendprobleme“, sagt Wolfgang Paterok, Leiter des XOX-Theaters und Regisseur des Ensembles. „Es erzählt vielmehr von der Auseinandersetzung des Individuums mit gesellschaftlichen Zwängen und von dem Versuch, autonom zu sein.“ Kurts Weg in die Autonomie ist verheerend, doch, das unterstreicht auch Clemens Wustmans, Darsteller des Kurt in „Feuergesicht“: „Kurt ist nicht krank. Alles was er tut ist logisch, gradlinig und für ihn konsequent.“ Als Wolfgang Paterok das erfolgreiche Werk von Mayenburgs zum ersten Mal las, fühlte er sich spontan angesprochen:“Es ist spannend, brisant und vor allem ehrlich. Es will nicht kalkuliert provozieren“, sagt er. Durch seine schnellen Szenenwechsel bringt das Werk jedoch auch Umsetzungsschwierigkeiten für die semi-professionelle Gruppe mit sich: „Der erste Satz muß klappen. Es bleibt niemals Zeit, eine Szene zu retten“, sagt Clemens Wustmans. Geprobt haben die Darsteller Philipp Leenders (Paul, Olgas Freund), Clemens Selter (Vater), Christa Wolters (Mutter), Simone Schmitz (Olga) und Clemens Wustmans (Kurt) bisher auf der Probebühne des XOX-Theaters in der Turnhalle der alten Grundschule in Kellen. Nach einem Jahr voller wöchentlicher Arbeitstreffen und einigen intensiven Wochenendproben ist das Stück „Feuergesicht“ im April reif für die Premiere.

RP vom 24. April 2002

Nicht wie Phönix aus der Asche
von Ursula Capecki

In seiner sechsten eigenen Produktion hat das XOX-Theater Kleve das junge Stück „Feuergesicht“ des Berliner Autors Marius von Mayenburg auf die Bühne gebracht. „Ich möchte mit dieser Produktion vor allem ein junges Publikum ins Theater holen“, so der Klever Regisseur Wolfgang Paterok. Er wählte ein Stück aus, das unter die Haut geht, aber trotzdem auch den Spiegel der Alltagskomik zuläßt. Es berührt uralte Tabu-Thematik mit bleibender Aktualität: Pubertät, geschwisterlicher Inzest, Familiengefängnis. Kurt (Clemens Wustmans), ein Jugendlicher, in der Sprache der Eltern „pubertierend“, muss mit der Geranien sortierenden, an die „Normalität“ glaubenden Mutter (Christa Wolters) und dem Vater (Clemens Selter), der das Leben zwischen den Zeilen seiner Zeitung sucht, aufwachsen. Zur Seite steht ihm seine Schwester Olga (Simone Schmitz), die körperlich weiter gereift, ihm zunächst überlegen scheint, denn Kurt ist ein Kopfmensch, der „dicht“ gemacht hat und seinen im Inneren brodelnden Kräfte keine Richtung zu geben weiß. Doch die Sehnsucht, durch das Erlebnis Sexualität in der geschwisterlichen Inzestbeziehung zu sich selbst und einem Sinn zu finden, ist eine Illusion. Dies spürt Olga auch, als sie ein Verhältnis mit Paul (Philipp Leenders) beginnt, der ihrem Bruder in seiner polternden Oberflächlichkeit diametral entgegensteht: Die Katastrophe reift in dem eifersüchtigen Kurt heran: das Zündeln in Vaters Garage steigert sich zur Selbstverstümmelung des Gesichts, zu Brandstiftung und schließlich Elternmord. Während die ihm mitlerweile hörige Schwester in letzter Minute von Paul gerettet wird, gibt sich Kurt dem Feuertod hin und damit seiner letzten Hoffnung, wie ein Phönix aus der Asche geläutert zu sich selbst zu kommen. Die Klever Produktion zeichnet sich durch eine unaufdringliche Inszenierung und Regie aus, die die sprachliche und bildhafte Expressivität des Stückes wirken läßt: Prägendes Bild ist der zentrale, unverrückbare Familientisch mit den korrekt gestellten Stühlen, an dem die Familie zum gemeinsamen Essen verurteilt ist. Es wechseln in grelles Licht gehüllte Szenen und absolute Dunkelheit, in der das Publikum auf sich selbst hören muss. Die Schauspieler sind absolut überzeugend und tragen mühelos die Spannung über die über 90 Szenen und Monologe hinweg. Am lebendigsten und eindringlichsten sind Paul, Olga und Kurt gezeichnet. Letzterem ist die schwierigste, weil gespaltene Rolle auferlegt: Er muss sich von hilflos-zuckender Unsicherheit zur Gewalttätigkeit entwickeln. Es bleiben die Fragen: Erwachsen-Werden, ein Problem der Kinder oder der Eltern, besteht noch Hoffnung?

NRZ vom 23.März 2002

Spiel mit Klischees und Feuer
Der ewige Generationenkonflikt auf der Bühne des XOX-Theaters
von Klaus Hübner

James Dean, als aufsässiger Held in „…denn sie wissen nicht, was sie tun“ zur Kultfigur stilisiert, inszenierte sich auch außerhalb der Filmstudios als rebellischer „angry young man“. Schon in den fünfziger Jahren eskalierten Konflikte in Familie und Gesellschaft in gewalttätigen, finalen Auseinandersetzungen. Marius von Mayenburg stützt sein Theaterstück „Feuergesicht“ auf dieser lebensechten Basis, auf der fast unüberbrückbare Gegensätze zwischen den Generationen inzwischen zum traurig-wahren Klischee geworden sind. Am Esstisch scheiden sich die Geister. In der kleinbürgerlichen Familie kommt die Sprachlosigkeit in vielen Wörtern vor. Besonders die sprachliche Versteinerung der Eltern ist ein Ergebnis ihrer Gleichgültigkeit. Für den Vater etwa, ein Opportunist und hinterhältiger Haustyrann, findet das Leben nur in der Tageszeitung statt. Die Geschwister Kurt und Olga formulieren das Unbehagen, die Gegensätze und die Auflehnung, ohne dass die Eltern das Wesentliche richtig begreifen. Und wie im echten Leben kündigt sich die Katastrophe im Kleinen an, in „Feuergesicht“ in Form einer angebrannten Amsel in Zeitungspapier. Was der griechische Denker Heraklit vor mehr als zweitausend Jahren aus dem Feuer ableitete, ist für den rebellischen Kurt (Clemens Wustmans) von aktueller Brisanz. Der pubertierende Junge experimentiert mit selbstgebauten Brandbomben und verletzt sich dabei ziemlich schwer im Gesicht. Seine Auflehnung gipfelt in diversen Brandstiftungen, in die er seine Schwester Olga (Simone Schmitz) ebenfalls verwickelt. Ohne einen Ausweg aus der Sinnlosigkeit zu finden, flüchten beide in eine Gewaltspirale, die am Ende die Eltern (Clemens Selter, Christa Wolters) verschlingt und die auch Kurt letztendlich als Opfer in einem großen Feuerball zu Grunde richtet. Davor offenbart von Mayenburg diverse Blicke auf ein Familienleben, das von Miss- und Unverständnis geprägt ist. Kurts auch körperliche Liebe zur Schwester Olga bleibt den Eltern verborgen. In diesem Begehren zeigt sich die emotionale Schwäche von Kurt, der mit dem Schlüsselsatz „Ich werde nicht wie die, niemals“ das Tor zu den Eltern zuschlägt. Als Olga den Motorradfahrer Paul (Philipp Leenders) kennen lernt, bricht für Kurt eine zweite Welt zusammen. Heraklit betrachtet die Welt durch das Feuer, in dem auch James Dean sinnbildlich nach einem Autounfall unterging. Dieses Schicksal hatte Kurt für sich ebenfalls gewählt.